Die im Winter 2020/21 initiierten Subventionsprogramme von Rheinland-Pfalz und Hessen zeigen, dass das Thema City-Sicherheit weiterhin von politischer Wichtigkeit ist und Städte einen gewissen Anreiz erhalten sollen, die Innenstädte und ausgewiesenen Fußgängerzonen vor etwaigen Angriffen durch Fahrzeuge zu schützen. Sebastian Stürmann, Sicherheitsberater der VZM GmbH, ist spezialisiert auf die Sicherheitsplanung im öffentlichen Bereich und macht auf einen bisher wenig thematisierten Aspekt des Anfahrschutzes aufmerksam – das erhöhte Angriffspotential von E‑Mobilen.
Die ebenfalls staatlich geförderten und somit immer häufiger zugelassenen Elektrofahrzeuge können ein erheblich größeres Risiko für Leib und Leben von Passanten darstellen als Pkw mit Verbrennungsmotor. Elektrofahrzeuge haben aufgrund ihrer am Fahrzeugboden verbauten Lithium-Ionen-Akkus nicht nur ein höheres Gewicht, sondern auch einen deutlich tieferen Schwerpunkt als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor derselben Fahrzeugkategorie. Daraus ergeben sich gefährliche Eigenschaften:
* Exkurs Drehmoment |
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Drehmoment meint, einfach ausgedrückt, eine Kraft, die etwas dreht. Sie wird in Newtonmeter [Nm] angegeben. Das Drehmoment eines Motors sorgt im Zusammenspiel mit der Motorendrehzahl für Leistung, die in Kilowatt [kW] oder traditionell in Pferdestärken [PS] angegeben wird. Autos, die mit Diesel oder Benzin fahren, haben ihren maximales Drehmoment oft erst ab der Mitte ihres Drehzahlbandes und ihre höchste Leistung meist in der Nähe der maximalen Drehzahl, also kurz vor dem roten Bereich des Drehzahlmessers am Armaturenbrett. Der Elektromotor hingegen gibt von Anfang an sein volles Drehmoment ab. Je stärker das Drehmoment und je kleiner die dafür benötigte Drehzahl, umso kräftiger können Autos von unten heraus beschleunigen. Hinzu kommt, dass die meisten Elektroautos nur einen Gang haben. Dies ermöglicht eine maximale Beschleunigung ohne Schaltunterbrechungen. |
Die aufgestellten Thesen zur Gefährlichkeit können mithilfe von Zahlen belegt werden.
Zunächst betrachtet man die Herstellerangaben zu Geschwindigkeiten bzw. Geschwindigkeitstests, die in der Regel durchgeführt werden, um die Beschleunigungsleistung eines Fahrzeugs vergleichbar zu machen. Hierzu werden von unterschiedlichen Fahrzeugherstellern unterschiedliche Beschleunigungszeiten angegeben, die benötigt werden, um die Grenzwerte 50 km/h und 100 km/h zu erreichen. Die folgende Tabelle zeigt Beschleunigungszeiten für Referenzfahrzeuge der jeweiligen Klassen:
Tabelle
Klasse | Masse in kg | Beschleunigungszeit 0–50 km/h | Beschleunigungszeit 0–100 km/h |
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PKW | ~ 1.900 | 2,6 Sekunden | 6,4 Sekunden |
Elektro PKW | ~ 2.200 | 1,4 Sekunden | 3,1 Sekunden |
SUV | ~ 2.500 | 3,0 Sekunden | 8,6 Sekunden |
Elektro SUV | ~ 2.600 | 1,7 Sekunden | 4,2 Sekunden |
Die Beschleunigung wird in der Physik in Meter pro Quadratsekunde (m/s²) ausgedrückt. Aus den vorangegangenen Werten der Beschleunigungszeit können nun entsprechende Beschleunigungswerte berechnet werden. Im Folgenden ein Vergleich der Beschleunigungswerte von verschiedenen Fahrzeugkategorien:
Klasse | Masse in kg | Beschleunigung [m/s2] 0–50 | Beschleunigung [m/s2] 50–100 |
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PKW | ~ 1.900 | 5,3 | 3,65 |
Elektro PKW | ~ 2.200 | 9,9 | 8,15 |
SUV | ~ 2.500 | 4,5 | 2,8 |
Elektro SUV | ~ 2.600 | 8,15 | 5,55 |
Bereits an diesen Daten lässt sich bereits klar erkennen, dass die Beschleunigungsleistung von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor fast doppelt so hoch ist (teilweise noch höher). Doch was bedeutet das Ganze eigentlich für das Thema City-Sicherheit im Allgemeinen und Anfahrschutz im Speziellen? Wichtig ist es dabei zu wissen, welche Geschwindigkeiten die Fahrzeuge nach welcher Distanz erreichen können. Wenn die Geschwindigkeit berechnet ist, kann im nächsten Schritt die wirkende kinetische Energie berechnet werden. Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich der berechneten erreichbaren Geschwindigkeiten (Vmax) der jeweiligen Fahrzeugkategorien nach unterschiedlichen Distanzen:
Klasse | vmax nach 10 m | vmax nach 20 m | vmax nach 30 m | vmax nach 40 m | vmax nach 50 m |
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PKW | 37,1 | 52,0 | 60,4 | 67,8 | 74,5 |
Elektro PKW | 50,7 | 68,5 | 82,5 | 97,7 | 103,1 |
SUV | 34,2 | 48,3 | 55,5 | 61,1 | 66,2 |
Elektro SUV | 46,0 | 60,8 | 71,7 | 81,1 | 94,5 |
Bitte beachten: Es handelt sich hierbei um berechnete Werte, die unter Idealbedingungen getestet wurden. Bei nasser Straße oder anderen Umwelteinflüssen können die realen Zahlen von den berechneten Werten abweichen. Die Werte der oberen Tabelle wurden anhand dieser Formel berechnet:
Formel: v = a * t * v0 |
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v = Geschwindigkeit in Meter pro Sekunde [m/s] a = Beschleunigung in Meter pro Sekunde zum Quadrat [m/s2] t = Zeit in Sekunden [s] v0 = Anfangsgeschwindigkeit in Meter pro Sekunde [m/s] |
Die Tabelle zeigt, dass die Geschwindigkeit von Elektrofahrzeugen deutlich schneller ansteigt als bei einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor. Nach 50 Metern ist die Geschwindigkeit eines Elektrofahrzeugs bereits knapp 30 km/h höher als beim Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Und dass, obwohl Elektrofahrzeuge knapp 100 kg bis 300 kg mehr auf die Waage bringen als vergleichbare Verbrenner.
Die größere Geschwindigkeit und auch das höhere Gewicht der Elektrofahrzeuge bedeuten im Umkehrschluss ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, da es durch diese beiden Faktoren eine erheblich höhere kinetische Energie zu kompensieren gibt. Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft die berechnete kinetische Energie der vier relevanten Fahrzeugklassen nach einem Anfahrtsweg von 50 Metern:
Klasse | Masse in kg | Geschwindigkeit in km/h | Kinetische Energie in kJ |
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PKW | ~ 1.900 | 74,5 | 406 |
Elektro PKW | ~ 2.200 | 103,1 | 902 |
SUV | ~ 2.500 | 66,2 | 423 |
Elektro SUV | ~ 2.600 | 94,5 | 897 |
Formel: EKin = 1/2 * m * v2 |
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EKin = kinetische Energie [kJ] m = Masse [kg] v = Geschwindigkeit [m/s] |
Die berechnete kinetische Energie von Elektrofahrzeugen ist nach 50 Metern Anfahrdistanz bereist mehr als doppelt so hoch wie bei einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor. Denkt man die Sache noch etwas weiter, so haben die Elektrofahrzeuge ab einer Anfahrdistanz von 135 Metern (Elektro-Pkw, 141 km/h) bzw. nach 150 Metern (Elektro-SUV, 129 km/h) eine Geschwindigkeit erreicht, bei der die zu kompensierende kinetische Energie so hoch ist, dass zu deren Kompensation geeignete und zertifizierte Standardprodukte (z. B. Poller oder Wedges) nicht auf dem Markt erhältlich sind. Zum Erreichen einer den Elektrofahrzeugen gleichwertigen kinetischen Energie benötigen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor etwa 370 m (SUV, 132 km/h) bzw. 465 m (PKW, 151km/h).
Die in diesem Artikel berechneten Werte veranschaulichen deutlich, welch potenzielles Risiko von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ausgeht. Und hierbei beziehen wir uns lediglich auf die Elektrofahrzeuge der Klasse Pkw bzw. SUV und Lkw sind noch gar nicht berücksichtigt.
Bis Elektro-Lkw alltäglich sind, wird nicht mehr allzu viel Zeit vergehen. Der Elektroautobauer Tesla hat bereits ein Konzept eines Elektro-Lkw vorgestellt, der (ohne Ladung) in nur fünf Sekunden von null auf 100 beschleunigen können soll. Mit einer Ladung von 40 Tonnen braucht er für dieselbe Geschwindigkeit gerade einmal 20 Sekunden. Wenn man bedenkt, dass die hochsicheren Standardprodukte auf dem Markt einem 40-Tonner bis zu einer Maximalgeschwindigkeit von gerade mal 33 km/h Paroli bieten können, kann dem involvierten Leser an dieser Stelle doch etwas unbehaglich werden.
Elektrofahrzeuge können aufgrund ihres hohen Beschleunigungspotenzials auf kurze Distanzen hohe Geschwindigkeiten erreichen und enthalten somit bei einem direkten Aufprall eine hohe kinetische Energie. Das Risiko durch Elektrofahrzeuge muss jedoch auch relativiert werden, da die meisten Elektrofahrzeuge mit diversen Assistenzsystemen ausgestattet sind, die beispielsweise Auffahrunfälle und Personenschäden verhindern sollen. Entsprechend würde ein Elektrofahrzeug voraussichtlich vor dem direkten Aufprall auf eine Sicherungsmaßnahme die Geschwindigkeit verringern, woraufhin ebenfalls die wirkende kinetische Energie gesenkt und insgesamt ein geringerer Schaden entstünde. Somit stellen Elektrofahrzeuge primär dann ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für Innenstädte und Fußgängerzonen dar, wenn sie über keine Assistenzsysteme verfügen oder diese abgeschaltet bzw. manipuliert werden.
Dennoch sollten nach Meinung des Autors in Zukunft weitere Sicherheitsmaßnahmen, teilweise schon ab Werk, also während der Produktion des Fahrzeugs, zum Einsatz kommen. Der dazu passende Begriff lautet Security by Design. Ein Beispiel hierfür könnte eine GPS-gesteuerte Drosselung der Leistungsfähigkeit der Elektromotoren mit einhergehender festgelegter Höchstgeschwindigkeit sein. Alternativ ließe sich auch ein generelles, ebenfalls GPS-gesteuertes Verbot für größere Lkw im Innenstadtgebiet realisieren.
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